Es klopfte, als Jade sich gerade die Hände nach dem Spülen abtrocknete. Sie lächelte und ging zur Tür. Natürlich war es Caleb. "Hallo, du Möchtegern-Krankenpfleger und Orangensaftwichtel! Was machst du denn so früh schon hier, mußt du heute nicht arbeiten?"
"Sei unbesorgt, ich bin nicht heimlich aus dem Bürofenster geklettert, also mußt du auch nicht mit einem Mob rechnen, der mich zur Arbeit zurückzerrt!" Er lachte und zog sie an der Hand auf die Veranda hinaus, um ihr neugierig ins Gesicht zu sehen. "Laß dich mal im Licht anschauen!"
Unter seinem prüfenden Blick wurde sie verlegen. "Was soll denn das..."
"Diagnose beendet! Selbstredend bin ich kein Arzt, aber soweit ich das feststellen kann siehst du wieder blendend aus wie immer!"
"Mir geht es auch wirklich wieder gut, es war nichts ernstes."
"Nichtsdestotrotz habe ich dich sehr vermißt! Immerhin warst du fast zwei volle Wochen lang krank!"
"Du hast es überlebt!" Sie kicherte und stupste ihn gegen die Brust. "Und ich auch, auch dank all dem Orangensaft. Der stammte doch von dir, nicht wahr?"
"Hmmmm... möglich wäre das!"
"Das war sehr lieb, aber du hättest dir nicht so viele Umstände machen sollen! Sag mir nachher noch, was du für all die Sachen bekommst, damit ich dir das Geld zurückgeben kann."
"Versuch gar nicht erst mich derart zu beleidigen!" warnte er sie höflich. "Dir Kleinigkeiten für deine Genesung zu bringen ist ja wohl das mindeste, das man von einem Freund erwarten kann, und daß es dir wieder gut geht ist Vergütung genug!"
"Schon gut, schon gut. Dann vielen Dank! Ich hätte auch lieber etwas mit dir gemacht als im Bett zu liegen."
Der junge Mann sah sie schelmisch an, und sie konnte förmlich auf seinen Zügen ablesen, wie er sich bemühte die Steilvorlage für einen unverschämten Witz nicht anzunehmen, obwohl ihm gleich mehrere Versionen durch den Kopf zu fahren schienen. "Ach!" machte er plötzlich vergnügt und breitete die Arme aus, um sie zu drücken, doch sie war schneller und warf sich ihm glücklich um die Brust.
"Whoa! Du bist wirklich wieder gesund, du wirfst mich ja fast um, Jade Sparkle!"

Caleb war hochzufrieden. Als Jade wieder von ihm zurücktrat blitzten ihre Augen, ihre Wangen hatten endlich wieder Farbe und die üblen Kopfschmerzen schienen nur noch eine dunkle Erinnerung zu sein. Er hatte sich große Sorgen gemacht, ob Straud nicht doch irgendeinen Virus auf sie übertragen hatte, und sei es eine durch schlechte Zahnhygiene übertragene Krankheit von einem anderen Opfer. Sie wieder lachen zu sehen erleichterte ihn sehr. Hoffnungsvoll fragte er: "Hast du schon etwas gegessen?"
"Ja, du hast mir gerade genug Zeit dafür gelassen." Sie grinste.
"Das war Zufall, wie ich zugeben muß. Noch früher konnte ich mich dann doch nicht von der Arbeit loseisen."
"Du warst schon im Büro?"
"Natürlich! Einer mußte ja allen erzählen, daß Jade Sparkle am Montag wieder zur Arbeit erscheint!"
"Das ist ein Witz, oder? Bitte sag mir, daß es ein Witz ist!" Ihr Herz setzte aus. Gestern noch hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, ob eine Beziehung gegen die Firmenpolitik wäre, und gerade heute posaunte er ihre Freundschaft vor allen aus?
"Sicher ist es das", meinte er verwundert. "Wo liegt das Problem?"
"Es ist nichts, nur... Die Leute in deinem Büro kennen mich ohnehin nicht."
"Oh, es kennen dich weitaus mehr Personen, als du denkst!" Als der Vampir feststellte, daß seine aufmunternd gemeinte Bemerkung in ihr das Gegenteil zu bewirken schien, holte er weiter aus. "Es war sogar im Gespräch dich in die neue Geschäftsstelle in Littlehaven zu versetzen, aber da ich mir unsicher war, ob du daran Interesse hättest, habe ich die Entscheidung der Personalabteilung überlassen und dich nicht explizit empfohlen. Ich hoffe, das war in deinem Sinne?"
"In Littlehaven? Dafür hätte ich umziehen müssen!"
"Zugegeben, ich bin sehr zerknirscht darüber, was für ein schlechter Freund ich bin, weil ich mir gewünscht habe, daß du die Stelle nicht bekommst. Was letzten Endes auch leider der Fall war, ein Kollege mit längerer Firmenzugehörigkeit wurde vorgezogen."
"So ein Glück, daß ich sie nicht bekommen habe!" rief Jade erleichtert und brach in lautes Jubeln aus. "Oh mann, wäre das schlimm gewesen!"


Sie so zu sehen brach endgültig den Damm in Caleb. Er lachte befreit los bis er fast weinte. "Jade Sparkle... Du bist wirklich der einzige Mensch auf der Welt, der froh darüber ist, bei einer Beförderung übergangen worden zu sein", brachte er hervor und kicherte weiter, begleitet vom glücklichen Giggeln der Frau.
"Ich möchte halt nicht von hier wegziehen, schon gar nicht dermaßen weit, und das nur wegen Geld. Hier sind doch alle, die mir wichtig sind!" Sie zog sich die Kappe fester über die Ohren, um ihre Verlegenheit zu verstecken. Jade war froh, daß ihr Freund keine Strippen gezogen hatte, um ihr zu helfen. Das wäre auf jeden Fall problematisch geworden, auch wenn Kontakte in der Geschäftswelt wichtig waren. Außerdem hätte sie es gehaßt die Stelle abzulehnen und vor ihren Vorgesetzten als undankbar dazustehen, vor allem wenn Caleb sich für sie eingesetzt hätte. Littlehaven war drei Stunden Zugfahrt entfernt von San Myshuno und den umliegenden Ortschaften. Sie hätte nicht nur umziehen müssen, sondern auch all ihre Freunde verloren. Der Gedanke war unerträglich, besonders die Vorstellung den Kontakt zu ihrem besten Freund zu verlieren.

Die junge Frau sah in sein lachendes Gesicht. Was war das nur mit seinen Zähnen? Sie hatte ihn immer noch nicht danach gefragt. Im Büro tuschelten weiterhin alle ständig über Vampire, und dann Beryls Gerede über Knoblauchkränze und ihre steife Behauptung von einem Blutsauger zur Ader gelassen worden zu sein. War das nicht gefährlich für Caleb, mit solchen Zähnen herumzulaufen? Was, wenn man ihn fälschlicherweise für einen Vampir hielt? Von Beryl einen gemeinen Spitznamen bekommen zu haben war ja regelrecht harmlos gegenüber dem, was andere tun könnten. Sie hätte es fast selber vermutet, wenn sie ihn nicht ständig bei Tag sehen würde, und jedes Kind wußte doch, daß Vampire kein Sonnenlicht ertragen konnten. Eine kleine Sonnenallergie war ja schließlich kein Beweis für Vampirismus, nicht wahr?

Dem Vampir, der sich langsam wieder beruhigte, fiel die Veränderung in ihrem Gesicht auf. Wieso versteckte Jade sich wieder unter ihrer Mütze, und wieso lugte sie ihn so seltsam von unten an? Spielerisch schubste er die Kappe wieder zurück in die ursprüngliche Position, um mehr von ihr zu sehen, wurde aber trotzdem nicht schlau aus ihrer Miene.
"Auf jeden Fall läuft das neue Projekt perfekt und bei mir wird es nun erst einmal wieder ruhiger."
"Das freut mich sehr, Caleb."
"Und mich erst! Nachdem du mich kürzlich an eines Haustieres statt adoptiert hast werde ich dir also wieder viel regelmäßiger auf die Nerven gehen können." Er grinste frech.
"Du gehst mir nie auf die Nerven", versicherte sie ihm ernst.

Eine warme Brise ließ die Blätter der Bäume in der Straße rascheln und zupfte an Calebs Ponyfransen. Jades Zöpfe waren zu schwer dafür, aber sie selbst spürte den Wind als angenehmes Streicheln ihrer Kleidung. Das Wetter war viel zu schön, um ihn ins Haus zu bitten. "Wollen wir ein wenig spazierengehen oder ist es dir zu hell?" fragte sie hoffnungsvoll.
"Bist du denn schon wieder gesund genug für einen Spaziergang?" erkundigte er sich streng.
Jade winkte ab. "Auf jeden Fall! Im Haus ist es mir gerade, ehrlich gesagt, zu muffig!"
"Ah? Wieso das?"
"Beryl hat mir ein Paket geschickt mit einem Knoblauchkranz drin, sie bestand darauf", schimpfte sie, woraufhin Caleb aufhorchte und sich versteifte. Hatte die resolute Rothaarige also Wort gehalten und Jade über Vampire aufgeklärt? Falls ja, wäre es eine Erleichterung, aber dann würde er sich von nun an vom Haus seiner besten Freundin fernhalten müssen. Während er weiter mit ihr sprach überlegte er bereits, welche Orte in der Stadt er mit Jade aufsuchen konnte, um sie weiterhin so oft wie möglich zu sehen. "Hat sie dir das Paket einfach so geschickt oder habt ihr miteinander gesprochen?"
"Wir haben gestern telefoniert, aber ich möchte darüber jetzt nicht reden."
"Aber..."
"Ich möchte jetzt nicht darüber reden." Sie sah ihn fest an.
Der Vampir mußte einsehen, daß er aus seiner Freundin im Moment keine weiteren Informationen herausbekommen würde. Er würde später Beryl anrufen und nach einer Zusammenfassung des Gesprächs fragen. Bis dahin konnte er nur im Dunkeln stochern. Wenn es im Haus stank hatte sie den Kranz zumindest aufgehängt, wie er hoffte. "Jade Sparkle, du bist wirklich dickköpfig! Nun gut, dann laß uns ausgehen! Du könntest mir den öffentlichen Obstgarten zeigen, von dem du mit Beryl gesprochen hast." Das war der erste nahegelegene Ort, der ihm einfiel, auch wenn er nur so tun konnte, als ob ihn dies interessierte.
Jade hingegen strahlte fröhlich. "Na schön, dann mal los!"

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