Ihr nächster Arbeitstag verlief tatsächlich sehr viel angenehmer. Sie lernte weitere Kollegen kennen und nutzte jede kleine Pause, um mit ihnen zu plaudern. Beziehungen waren alles in diesem Job.
Auf dem Rückweg hörte sie nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt plötzlich jemanden von der anderen Straßenseite her ihren Namen rufen. Es war Liberty, die prompt zu ihr hinübereilte.
"Hey, Beryl! Wie war dein Tag?"
"Hi Liberty! Viel besser als der gestern, das kann ich dir sagen! Und was machst du hier? Ich dachte, du und die anderen wohnt gar nicht in Oasis Springs?"
"Das stimmt, aber ich komme oft hier durch. Das Fitneßstudio hier ist besser als das in Willow Creek", plapperte Liberty fröhlich.
Die Rothaarige betrachtete sie mißtrauisch. Ihr Gegenüber sah nicht gerade so aus, als hätte sie schon mal ein Fitneßstudio von innen gesehen. Das gleiche galt zwar für sie selbst, sie joggte nur ab und an ein wenig, aber zu Libertys schlurfendem Gang hätte doch sicher schon einmal ein Trainer etwas gesagt und sie zu einem Arzt geschickt. Beryl behielt ihre Meinung aber lieber für sich und plauderte weiter mit der jungen Frau.
"Sag mal", begann sie vorsichtig, "dieser Travis, was ist der für einer, huh? Er schien ein wenig abwesend zu sein."
"Ach, das ist nur, weil er einen Abgabetermin für ein Programm hat. Eigentlich ist er voll nett!"
"Wieso kommt er dann mit zu einer Nachbarschaftsbegrüßung, wo er nicht mal in meiner Nachbarschaft wohnt?"
"Na, weil wir ihn mitnehmen, Summer und ich!" Liberty lachte. "Da lassen wir ihm gar keine andere Wahl!"
"Ah ja, verstehe..." Beryl brauchte keine Orakelkräfte zu bemühen, um auf dem Gesicht ihrer Bekannten das Benötigte abzulesen. "Das liegt nicht zufällig daran, daß du ihn magst, oder?"
"Hey, psssst!" Schlagartig wurde Liberty ernst und sah sich um, ob auch keiner zuhörte. "Klar mag ich Travis, er ist einfach göttlich! Wir kennen uns schon, seit wir kleine Kinder waren!"
"Und, wie läuft's mit ihm?"
Die Schwarzhaarige sah sie an wie ein Schaf. "Wie soll es laufen?"
"Na, äh... Knutschen? Dates? Sex? Schon was gelaufen zwischen euch? Läuten gar demnächst die Hochzeitsglocken?" Beryl kümmerte nicht, daß sie sich erst seit kurzem kannten, sie fragte immer frei heraus.
"Nein!" Liberty lief rot an. Dann kratzte sie sich unangenehm berührt unter der Mütze. "Weißt du, mit Summer sind wir auch schon seit dem Sandkasten befreundet. Sag ihr nicht, daß ich dir das erzählt hab, aber sie steht auch auf Travis."
"Ooooh, alles klar!" machte die Rothaarige und konnte ein Lachen nicht unterdrücken. "Ihr seid beide hinter demselben Hirsch her?"
"Tja. Wir wollen uns nicht streiten, also warten wir ab, für welche von uns er sich entscheidet."
"Mädelscode, na klar."
"Nur irgendwie... scheint er es bislang noch nicht so ganz bemerkt zu haben, daß er sich entscheiden soll."
"Wie lange wohnt ihr schon in eurer WG?"
"Zwei Jahre!" machte Liberty stolz.
Beryl riß sich zusammen, tätschelte ihr die Schulter und meinte: "Das wird schon. Viel Glück weiterhin!"
"Danke! Jetzt muß ich aber auch mal los. Travis müßte gleich zu Hause sein, wer weiß was Summer treibt, wenn ich nicht da bin! Bis bald!"
Sie winkte und trabte davon, ziemlich schnell für ihre Verhältnisse.
"Oh mann. Dann will ich mal ein braves Mädchen sein und die Finger von Travis lassen. Erstmal." Kopfschüttelnd ging Beryl heim und kümmerte sich ums Abendessen. Zwei Jahre. Daß der arme Kerl überhaupt etwas von einer von beiden wollte schien ziemlich unwahrscheinlich nach so langer Zeit, und egal, für wen er sich entschied - Liberty, Summer oder jemand ganz anderes - es würde böses Blut geben. So gut sah er nun auch nicht aus, daß sie sich für einen One-Night Stand in dieses Liebesdreieck einklinken und einen Sturm auslösen wollte, und sie kannte ihn nicht gut genug, um sich über ein kurzes Stelldichein hinaus für ihn zu interessieren, damit sich der Ärger lohnte. Sicher würde sich auch jemand anderes finden lassen.
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Kommentare
Ja, das ist eine weise Entscheidung, Beryl...
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