Jade war guter Dinge zu Bett gegangen und freute sich auf die nächste Woche. Es war ein aufregender Tag gewesen, vor allem weil Beryl versucht hatte ihr Mut zu machen, was Calebs Interesse anging. Während sie überlegte, was sie am Sonntag alles machen würde, schlief sie auch bereits ein.

So bekam sie nicht mit, wie um kurz nach 22 Uhr Lilith an ihre Tür klopfte, wartete und sich entschloß wieder zu gehen, als ihr nicht aufgemacht wurde. Die Vampirin war sich selbst nicht sicher, was sie hier wollte. Einerseits hatte sie Caleb zugesagt, sich von Jade fernzuhalten, andererseits war ihr so unglaublich langweilig heute, wo er schon seit dem frühen Morgen fort war, daß ihr das egal war. Selbst mit dem langweiligen Pferd würde sich die Zeit besser vertreiben lassen als daheim. Zu irgendwas mußte die Menschenfrau doch gut sein, wenn ihr Bruder derart an ihr hing.
Sie wollte gerade die Treppe zum Bürgersteig hinabgehen, als sie eine dunkle Gestalt am Rand der Straße stehen sah, die sie jederzeit erkannt hätte. Schließlich stand nicht nur die Statue des ihr verhaßten Gründers von Forgotten Hollow mitten auf dem Gemeindeplatz gegenüber ihres Hauses, sie kannte ihn auch nur zu gut in persona.

"Graf Straud", grüßte sie herablassend. "Was führt Euch in diese abgelegene Gegend?" Sie kicherte fast bei dem Gedanken, daß das feuchtwarme Klima, das von den Sümpfen in der Nähe ausging, Gift für seine uralten Knochen sein mußte.
Straud, der in seiner normalen Form fast als Mensch durchging, obwohl er mit seinem ergrauten Haar die Dreistigkeit besaß sich als junger Erwachsener auszugeben, stand steif auf dem Gehweg und würdigte sie keines Blickes. "Warum sollte ich nicht spazieren gehen in dieser herrlichen Nacht, Miss Vatore? Ihr seid ebenfalls fernab von Forgotten Hollow."

Lilith überlegte kurz. Es war klar, daß Straud auf Beutezug war, und wie es schien hatte er weiterhin Interesse an Sparkle. Zwar fühlte die Vampirin sich Jade gegenüber zu keiner Nettigkeit verpflichtet, aber ihrem Bruder zuliebe wollte sie zumindest versuchen ihren Nachbarn fortzulotsen.

"Ihr habt selbstverständlich recht, Graf, die Nacht ist zu perfekt, um im Haus zu sitzen. Allerdings würde ich Euch empfehlen Euren Spaziergang anderswo fortzusetzen. Hier in der Gegend stinkt es zu sehr nach Pferd, wenn's beliebt." Viel mehr als ihm einzureden Jade schmecke schlecht oder sie hätte heute bereits von ihr getrunken blieb ihr nicht. Sie hatte weder die Macht sich allein mit ihm anzulegen - geschweige denn ein Interesse daran, das wegen diesem Menschen zu tun - noch konnte sie Jade aufwecken und auf diese Weise schützen, schließlich kannten sie sich kaum und die Frau würde sie nie und nimmer ins Haus lassen, so wenig wie sie sich mochten. Mit dermaßen gebundenen Händen hatte sie keine weiteren Optionen. Vielleicht war es unter der Würde des Grafen von jemandem zu trinken, von dem er annehmen mußte, daß Lilith bereits gekostet hatte.
Lilith ging stolz an Straud vorbei und konnte sich ein leichtes Grinsen dennoch nicht verkneifen. Sollte Straud doch noch in diesem Haus einkehren würde das Menschlein ab dem Morgen sicher eine neue Einstellung zu Vampiren haben und die ganze dumme eingebildete Freundschaft zwischen ihr und Caleb endlich enden. "Gute Nacht, Graf."

Vladislaus Straud sah ihr hinterher, bis die junge Vampirin auf der anderen Straßenseite zwischen zwei Gebäuden verschwand. "Wollte mich die kleine Füchsin tatsächlich von diesem Haus fernhalten?" fragte sich der Graf einen Moment lang, doch es war unerheblich. Er hatte sich diese Frau schon vor vielen Tagen als Opfer ausgesucht und würde sich sicher nicht von einem jungen Hüpfer davon abhalten lassen. Leider war die Menschenfrau oft sehr lange wach, so daß er nicht an sie hatte herankommen können, und sie hatte sich bislang auch stets standhaft geweigert ihm die Tür zu öffnen. Ein unverschämtes Biest, das er nun zähmen würde. Wenn es die kleine Vatore störte, umso besser.

Straud ging lautlos die Holztreppe hinauf und öffnete die Haustür mit einer kleinen Geste. Das Schloß sprang auf, die Tür schwang ihm entgegen. Diesmal schlief die Menschenfrau, und freundlicherweise war ihr Schlafzimmer nur wenige Schritte von der Eingangstür entfernt. Wie ein Schatten huschte er durch den Flur in den Raum und betrachtete die Schlafende. Ein junges, gesundes Ding mit viel Blut, dessen Aroma so stark war, daß heute ganz sicher noch niemand von ihr getrunken hatte. Dieses Haus war dermaßen schutzlos, daß er sich nicht einmal die Mühe machte seine Jagdform anzunehmen, die seine Macht vervielfacht hätte.

"Steh auf!" kommandierte er mit hypnotischer Stimme, und die schlafende Jade gehorchte. Sie setzte sich auf und schwang puppenhaft die Beine aus dem Bett. Benommen sah sie sich um, ohne bewußt wahrzunehmen, was geschah. Straud winkte sie heran. "Komm her zu mir, hierher zum Fußende des Betts."

Die Frau kam gehorsam zu ihm, und mit jedem tapsenden Schritt wurde sein Bann stärker. Bis sie plötzlich unvermittelt stehenblieb und sich umsah. "Was... was geht hier vor?" stammelte Jade verwirrt. Ihre Augen wurden groß.
"Kleines Biest!" zischte Straud und erneuerte seinen Bann. Diesmal wurde ihr Blick leer und sie wehrte sich nicht mehr. "Wag es nicht noch einmal, dich zu wehren!" Das süße Aroma ihres jungen Blutes wehte an ihn heran. Sie war kein Pferd, sondern ein Festmahl! Er riß sie an sich und bohrte seine Fänge in ihren Hals.
Die Frau atmete erschrocken ein, konnte aber keinen Finger rühren. Sie träumte... Das mußte ein ganz böser Alptraum sein! Warum hatte sie in ihrem Traum solche Schmerzen? Was ging hier...

Ihr Handy, das auf der Kommode lag, klingelte. Die Frau begann zu stöhnen und sich in seinen Armen zu regen. Straud zuckte zurück und atmete heftig ein. Sie hatte die Augen geöffnet! "Was... passiert hier?" brachte sein Opfer hervor. Das elektronische Geräusch verstummte. Straud biß noch einmal zu, trank hastig von ihr. Das Handy klingelte erneut, und wieder schien sie aus seinem Bann zu erwachen und sich gegen seinen Zauber aufzulehnen. Sie murmelte unverständliches.

"Zum Teufel auch!" Straud beendete sein Mahl vorzeitig, wischte sich den Mund ab und stieß die Frau von sich. "Nächstes Mal lernst du meine Jagdform kennen, Mädchen!" schimpfte er, als er sich in eine Fledermaus verwandelte und verschwand. Die Haustür fiel krachend ins Schloß.

"Muß... abschließen..." Jade tapste ihm benommen hinterher, immer noch im Glauben es sei ein Alptraum, bis sie im Flur die Kraft verließ. Sie war so müde... Wie konnte man in einem Traum bloß derart müde sein? Sie streckte sich, gähnte und brach dann auf dem Parkett zusammen.

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